Interessant ist es, zu erfahren, dass das östliche Thüringen sowie das Vogtland während des 10. Jahrhunderts bis in das späte Mittelalter hinein weithin als „Osterland“ bekannt war. An diese Bezeichnung erinnern heute nur noch Schloss Osterstein bei Gera und in Zwickau. Doch diese Tatsache hat dennoch primär nichts mit dem von uns heute gefeierten Osterfest zu tun, auch nicht mit den traditionellen Thüringer Osterbräuchen.
Dass man aber in früheren Zeiten zur Osterzeit vornehmlich in den Regionen Nord- und Mitteldeutschlands das Osterwasser holte, spielt schon eher in die Rubrik der Osterbräuche hinein, auch wenn diese heute größtenteils in Vergessenheit geraten ist. In Thüringen war es üblich, das gesegnete Osterwasser den Pferden zu geben, damit diese von Krankheiten verschont blieben. In einigen Regionen wurde das Wasser allein an einem fließenden Gewässer geholt und mit den Worten „Im Namen Gottes“ oder „Hier schöpfe ich Christi Blut, Das ist für siebenundsiebzigerlei Fieber gut.“ geweiht.
In früheren Zeiten war es üblich, dass nur die Eier zu Ostereiern taugten, die am heiligen Gründonnerstag gelegt worden waren. Nur sie hatten eine heilende und schützende Kraft, die durch die kirchliche Weihe nochmals gesteigert wurde. Um das frisch besäte Feld in bester Art und Weise zu einer üppigen Ernte zu bringen, aß der Bauer mit seiner Familie auf seinem Feld die geheiligten Eier.
Doch neben dieser aus heutiger Sicht eher grotesk wirkenden Tradition, in welcher den an Gründonnerstag gelegten Eiern eine übernatürliche Kraft zugeschrieben wurde, konnten auch an anderen Tagen gelegte Eier eine kraftvolle Wirkung innehaben. So war es in der Region des Harzes sowie in Thüringen lange üblich, dass einem neugeborenen Kind ein Ei zum Geschenk gebracht wurde, mit welchem der Besucher dem Kind einmal um den Mund herumfuhr, um ihm die Tugenden der Redefertigkeit und der Herzhaftigkeit mit auf den Weg zu geben. Wurde das Ei in das erste Bad des Kindes gelegt, so versprach es ihm eine klare Stimme, allerdings nur, wenn das Ei im Anschluss dem ersten Bettler geschenkt wurde.
Der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag wurden einst besondere Heilkräfte zugesprochen. Wer in Thüringen sogenannte Sympathiekuren vorbereitete, also Heilkräuter sammelte und diese nach altem Ritus weihte, konnte in dieser Nacht mit einer Vielzahl kranker Besucher rechnen, die sich von ihm heilen lassen wollten.
Die genannten Rituale haben, trotz ihrer damals schon christlich geprägten Anwendung, ebenso wie das Osterfeuer und die Osterspiele, ihren Ursprung im heidnischen Glauben. Während die letztgenannten Traditionen auch in anderen europäischen Ländern bekannt waren und sind, so ist der Osterhase als eierbringender Wohltäter doch ein Deutschland eigenes Brauchtum. Der fleißige hoppelnde Geselle musste das Verstecken der Eier natürlich nicht allein vornehmen, viel mehr wurde er, je nach Region, von Osterlamm, Kuckuck, Storch, Fuchs oder Kickelhahn dabei unterstützt. In Thüringen war es der Hahn, der dem Osterhasen helfend zur Hand ging. Damit im Osternest nicht nur krumme Eier liegen würden, wurde den Kindern angeraten, dem Hahn am Vortag zu Ostern mit dem Besen auf den Schwanz zu hauen. Nicht wie heute wurden die Kinder reich beschenkt, sondern das Körbchen war ausschließlich mit bunten Eiern bestückt. Ursprünglich, so heißt es in der Publikation „Unsere Welt, Illustrierte Monatsschrift zur Förderung der Naturerkenntnis“ von 1929, war der Osterhase unter anderem, neben den süddeutschen Gebieten wie Thüringen, auch in Italien, Frankreich, der Schweiz und Tunis bekannt.
Noch im Jahre 1884 war in einigen Ortschaften des Thüringer Waldes und in der Region um Eisenach das folgende Brauchtum unter der Jugend verbreitet. Die Schüler stellten sich in einigen Kolonnen vor die Wohnung des Försters und des Oberholzhauers auf. Wenn nun der betreffende aus seinem Haus trat, wurde er von einem erwählten Abgesandten der Jugendgruppe empfangen, von den Gruppen in die Mitte genommen und bejubelt. Gemeinsam zogen sie dann in den Wald. Nach einem alten Brauch hatten die Kinder das Recht, sich hier einen besonders hohen Fichtenbaum zu ihrem Osterbaum auszuwählen, welcher ihnen vom Förster unentgeltlich überlassen wurde, sogar von ihm gefällt und von den Gruppen gemeinsam in den Ort getragen wurde. Auf dem Marktplatz wurde er nun niedergelegt, geschält und prachtvoll mit gefärbten Eiern, bunten Bändern, Schneckenhäusern und anderen Naturmaterialien geschmückt. Wenn dann gegen Abend der Frühlingstanz um den Baum begann, wurde dazu gesungen:
Tro ri ro, der Sommer ist nu do!
Wir woll’n nu raus in Garten
Un woll’n des Sommers warten;
Jo, jo, jo! Der Sommer is nu do!
Den Sonntag darauf wurde der Baum dann wieder gemeinschaftlich umgeworfen und seine Dekoration konnte von jedermann abgepflückt und behalten werden.
Das Ostereiersuchen am Gründonnerstag wurde in Thüringen noch in den 1960er Jahren gepflegt, wohingegen heute die meisten Kinder ihre Osterleckereien am Ostersonntag suchen dürfen. Griff man in damaliger Zeit bei der Eierfärbung zu Naturmitteln wie Zwiebelschalen, Rote Bete, Holundersaft, frischem Gras, Klee oder Spinat zurück, nutzen heute die meisten Osterhasenhelfer dafür die im Supermarkt erworbenen Ostereierfärbemittel. Obwohl der Trend zu den Naturmitteln nun allmählich wieder ansteigt und die Speckwarte als Glanzmittel für die Eier, welche damals geläufig war, heute auch wieder des Öfteren zur Verwendung kommt. In den 60er Jahren wurde ein Teil der erfolgreich gesuchten und gefundenen Eier sogleich für das Mittagessen verwendet. Die hart gekochten Eier wurden zu Kartoffel- und Rapunzelsalat verzehrt. Genau wie in der heutigen Zeit war auch damals das Eiersuchen für die Kinder an Ostern das Schönste. Ab und zu konnte sich ein Kind damals neben den bunt gefärbten Eiern auch über einen bunt glänzenden Gummiball freuen, den der Osterhase in das Osternest gelegt hatte.
In heutiger Zeit ist neben den vielen anderen heidnisch-germanischen Bräuchen zu Ostern das Eiersuchen am relevantesten geblieben. Öffentliche Osterbäume sind mancherorts in Thüringen noch zu finden, viele schmücken auf eigene Faust einen in ihrem Garten befindlichen Busch oder Baum, oder, wenn kein Garten vorhanden ist, zumindest den beliebten Osterstrauch aus Forsythien- oder Kirschzweigen. Sucht man in Thüringen nach einem Osterbaum in der Öffentlichkeit, wird man in Saalfeld mit dem wohl bekanntesten seiner Art fündig. Dieser wurde das erste Mal 1965 duch Volker Kraft geschmückt, damals mit nur 18 Eiern. Die Tradition hält bis heute an. Als Ostereierbaum wird seit 2021 ein junger Apfelbaum in der Orangerie des Schlossparkes genutzt.
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Textquellen:
Beck, Martin: Der germanische Hintergrund des Osterfestes in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, Redacteur: Dr. Julisu Rissert in Leipzig, Sonnabend, Nr. 46, den 16. April, 1892.
Busch, Moritz: Deutscher Volksglaube, Band 1, 1877.
Gewalt, Hannelore: Ländliches Thüringen – Erinnerungen an Thüringen: Geschichten & Bilder zwischen Aussaat und Ernte, Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2015.
Haberland, Carl: Das Ei im Volksglauben in Globus: illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, Band 34, Vieweg, 1878, S. 60f.
Hungerland, Heinz: Osterbräuche im Lichte der Völkerpsychologie (Osterhase und Osterei) in: Unsere Welt, Illustrierte Monatsschrift zur Förderung der Naturerkenntnis, Bände 21-22, 1929, S. 144.
Ploss, Hermann Heinrich: Das Osterfest in: Das Kind in brauch und Sitte der Völker, zweiter Band, Leipzig: Th. Grieben’s Verlag (L. Fernau), 1884, S. 369f.
Bildquellen:
Vorschaubild: „Ein Ostergeheimniß", Nach einer Zeichnung von Th. Brauer, 1888 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Der Gang nach dem Osterwasser, Originalzeichnung von Willy Stöwer, 1893 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Herzliche Ostergrüße; Ansichtskarte, Urheber: Franziska Schenkel, vor 1945 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Der Ostereierbaum der Familie Kraft in Saalfeld, 2013, Urheber: Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.
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