Die Nacht zieht herauf, der Mond schaut hinter finsteren Wolken hervor, unheimliche Laute bahnen sich durch die Gebüsche am Wegesrand, finstere Schatten umhüllen den abendlichen Wanderer und seltsam schlurfende Schritte nähern sich hinter dem Rücken. Plötzlich wird sein Weg von einer Horde unkenntlicher Gestalten verstellt. Der nichtsahnende und unschuldige Spaziergänger nimmt schützend die Hände vor das Gesicht und geht in eine geduckte Haltung, ein Hilfeschrei bahnt sich schon einen Weg seine Kehle hinauf. Dann hört er: „Süßes oder Saures!“
Klar, es ist ja der 31. Oktober. Und wie in jedem Jahr finden sich alle gruselfreudigen Kinder zusammen, in den unheimlichsten Verkleidungen, mit überzeugend echt geschminkten Wunden, spitzen Zähnen, farbigen Kontaktlinsen, und ziehen um die Häuser, um sich Süßigkeiten bei den Nachbarn zu ergaunern. Dabei sei aber bemerkt, nur an den Halloween-geschmückten Häusern sollte die Klingel betätigt werden. Alle anderen wollen wahrscheinlich mit dem ursprünglich irischen, heute amerikanischen Brauchtum nichts zu tun haben. Denn nicht zu vergessen, der 31. Oktober ist in Thüringen nicht etwa ein Feiertag, weil da Halloween stattfindet, sondern diesen haben wir dem Werk von Martin Luther zu verdanken, es wird der Reformationstag gefeiert.
Doch ist Halloween in seiner heutigen Form tatsächlich nur eine Erfindung der Iren, die, weil cool, schaurig und spannend, nun auch zu uns nach Thüringen geschwappt ist? Oder finden sich in den alten Thüringer Überlieferungen, in Büchern des 19. Jahrhunderts, oder sogar zeitiger, vielleicht Hinweise darauf, dass ähnliche Bräuche auch in dieser Region bereits zu früheren Zeiten gelebt worden?
Zum einen gab es wohl in den Südthüringer Dörfern einen ähnlichen Brauch, vielleicht nicht ganz so sehr ausgeschmückt, wie das heute der Fall ist. Aber im Herbst, wenn die Tage kürzer wurden, fertigten die Kinder sogenannte Bööze an. Dafür höhlten sie große Futterrüben aus, gestalteten die Vorderseite in Form einer Totenmaske und steckten in die Aushöhlung eine brennende Kerze. Dieser so gefertigte Bööz stellte eine fiktive Schreckgestalt dar, vor der sich Kinder fürchten sollten und mit der den Kleinen bei schlechtem Verhalten gedroht wurde. Das Wort Bööz wurde wohl von Butz bzw. Butzemann abgeleitet, zu dem es auch ein gängiges Kinderlied gibt. Der Bi-Ba-Butzemann ist nämlich nicht etwa ein freundlicher Geselle, sondern wird in seinen Ursprüngen viel mehr als Poltergeist oder Schreckgespenst beschrieben. Lustige Späße wurden mit den Böözen dann auch betrieben. Ob das nun am 31. Oktober oder an anderen Tagen geschah, ist nicht genau bekannt. Zumindest bekannt ist, dass die erleuchteten Bööze von außen gegen die Scheiben der Häuser gehalten wurden, um seine Bewohner zu erschrecken. Die Tradition wird auch als Rübengeistern bezeichnet und findet sich auch in anderen Regionen Deutschlands wieder, so zum Beispiel im Saarland. Vermutet wird, dass für diese Tradition die Zeit um die Allerheiligen, also um den 11. November, genutzt wurde. Ein weiterer für den Rübengeist in Thüringen gebräuchlicher Begriff war „Rubebötz“.
In der Publikation „Urquellen germanischen Heidentums“ findet sich zu der Tradition nicht nur das reine Rübenschnitzen und das Vorhalten vor die Fenster, sondern hier wird sogar von einem Umzug mit den Rüben durch den Ort gesprochen, auch damals wollten die Kinder kleine Gaben erhalten und hatten schon Bettelsprüche parat. Einer davon lautete:
Wir sind die Rübengeister,
Im Schnitzen sind wir Meister.
Gebt uns gute Gaben,
dann können wir uns laben.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass bereits halloween-ähnliche Bräuche in Thüringen existierten findet sich in dem Buch „Uhuhu oder Hexen-, Gespenster-, Schatzgräber- und Erscheinungs-Geschichten, welches bereits 1786 erschien. In der Geschichte „Das Gespenst von Elxleben“ wird von einem Spuk erzählt, der einen Bauern heimsucht, ein „Schauer erweckendes Feuergespenst“. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei aber nur um einen Kürbis, den ein Knecht des Dorfes ausgehöhlt und ihm große Augen, Nasen und Ohren ausgeschnitzt hat. Natürlich stellte er auch eine Kerze hinein. Die dadurch entstandenen Schatten hatten den Bauern erschreckt.
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Textquellen:
Köhler, Erhard: Bööze und Halloween: Ländliches Thüringen, Erfurt, Sutton Verlag, 2012, S.27.
Thüringer Weihnachtsbüchlein: Bechler, Lothar (Hrsg.) Arnstadt: Kirschlager, 2007, S. 137f.
Urquellen germanischen Heidentums, Norderstedt: BoD, 2023, S. 347.
Bildquellen:
Fotos: Carolin Eberhardt.