Orgellandschaft, Musik- und Kirchengeschichte nördlich von Weimar und Ettersburg sind durch die alte Landstadt Buttelstedt, einer frühmittelalterlichen, mainzisch-hersfeldischen Gründung mit frühem Markt- und Stadtrecht, entscheidend mit geprägt. Sie markiert einen Ort von kultureller, vorrangig musikalischer Bedeutung, dessen Namen Programm sind:
Johann Tobias Krebs (1690–1762), Schüler Bachs, 1710–1721 Kantor und Organist in Buttelstedt, danach in Buttstädt; sein Sohn Johann Ludwig Krebs (1713–1780), Meisterschüler Bachs in Leipzig, ab 1756 Hoforganist an der Trost-Orgel der Schlosskirche zu Altenburg; Johann Friedrich Fasch (1688–1758), ab 1722 Hofkapellmeister in Zerbst; Johann Wilhelm Koch (1704–1745), Kantor, Freund Bachs, machte Ronneburg (Thüringen) zur Bachstadt; Johann Sebastian Bach, Lehrer und Förderer in Weimar und Leipzig; Franz Liszt und August Wilhelm Gottschalg, „sein" Organist und Kantor; Gustav Steinacker (1809–1877 als Pfarrer in Buttelstedt), Freund Liszts, Theologe, Reformpädagoge, Historiker Schriftsteller, letzterer wie die vorherigen mit reichen Verbindungen zu Weimar; aber auch Persönlichkeiten wie Justinus Bertuch (1677–1718), Theologe, Großvater des Weimarer Verlegers und Schriftstellers Friedrich Justin Bertuch, 1716–1718 Pfarrer in Buttelstedt.
Die hier versammelten Persönlichkeiten der Musik und der Kirchengeschichte des 17. bis 19. Jhs. verpflichten zu einer Wahrnehmung des Ortes, mehr noch: zu einer aktiven Musikpflege an einer wiederhergestellten Peternell-Orgel – als Bereicherung für die Bürgerschaft und Gewinn für den Ort ebenso, wie als Mosaikstein in der Thüringer Musikszene, in namhaften Musikreihen innerhalb der Thüringer Städtekette für Alte Musik mit dem nahen Weimar zum Beispiel.
Schon jetzt nehmen viele Weimarer Anteil an den Veranstaltungen in Buttelstedt. Dass dies nicht schon immer so war, ist der gravierenden Vernachlässigung vor 1990 geschuldet, die Buttelstedt den Ruf, die Würde als Stadt von kultureller Bedeutung und das Bewusstsein dafür nicht erlaubte, sodaß sie, bis in unsere Zeit unterbewertet, dringend einer besseren Präsentation bedarf. Wir brauchen dafür vor allem das innere und öffentliche Bewusstsein zurück – für Stadtkirche und Peternell-Orgel als wichtige Orte der Geschichte und der Musik, die vorbehaltlose Anerkennung Buttelstedts als kulturelles Kleinod und Zentrum (neben Schloss Ettersburg) im Norden von Weimar, dies sowohl seitens der zuständigen Verwaltungsgemeinschaft Nordkreis Weimar als auch der Bürger selbst. Beispiel einer ersten Zusammenarbeit mit Schloss Ettersburg ist das Brüning-Petrowsky-Benefizprojekt als Konzertbeitrag zum Pfingst-Festival 2015.
Buttelstedt wurde 768 an der späteren Via Regia und am Kreuzungspunkt alter Handelsstraßen gegründet, war einer der vier Gerichtsplätze der Thüringer Landgrafen (heutiges Denkmal oberhalb des Stadtzentrums), besaß eine Burg, die Bürgern und Handelsreisenden Schutz bot, hat aufgrund seiner kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung seit 1334 Markt- und seit 1454 Stadtrecht. Buttelstedt überrascht durch eine Vielzahl von Kunstschätzen und Denkmalen, wie dem einzigartigen Menhir, dem bereits erwähnten Dingstuhl als landgräflichem Versammlungs- und Gerichtsplatz, dem Pfarrwitwenstift mit einer Erinnerungsstätte für die Komponisten Krebs und Fasch, der alten Schule am Markt und dem ehemaligen Herren-(Guts-)haus, das denkmalgerecht saniert, künftig als private Wohn- und Arbeitsstätte dient. Damit ist neben der bereits sanierten Schortmannschen Villa aus dem 19. Jh. (quasi als Burg-Nachbau), dem Denkmalensemble des Marktes - einschließlich dem Einzeldenkmal Kirche mit Peternell-Orgel – das insgesamt neu gestaltete historische Kirchen- und Burgquartier über dem Markt geschlossen.
Die mächtige Stadtpfarrkirche Sankt Nikolai mit ihren beeindruckenden Maßwerkfenstern, Renaissance-Kanzel, Epitaphien (u.a. mit einer Bemalung des Lucas Cranach-Schülers Peter Roddelstedt von 1563) und Krypta, sowie ihrem faszinierenden Raumklang wurde 1486 bis 1566 als spätgotische Saalkirche mit hölzener Tonne auf den Befestigungen der Burg errichtet. Es ist ein Kirchenbau, der seinesgleichen um Weimar sucht, und der von der einst herausragenden Stellung der Stadt zeugt. Der 57 m hohe Turm der Kirche dominiert weithin alle Sichtachsen zur Stadt. Die Turmuhr aus der Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg ist aufgrund ihrer Schlagtechnik und aktuellen Funktionstüchtigkeit neben der Orgel eine Seltenheit im Kirchenraum zwischen Weimar und Halberstadt.
Die Peternell-Orgel in der Stadtpfarrkirche St. Nikolai Buttelstedt ist vor dem Hintergrund des von Carl Friedrich Peternell in Seligenthal 1857/58 grundlegend umgebauten Instruments und der Revision des Peternell-Umbaus durch den berühmten Weimarer Stadtorganisten und Orgelsachverständigen Johann Gottlob Töpfer, Weimar, von 1858 ein Gesamtwerk von hohem künstlerischen und musikhistorischen Wert. Besonders kostbar sind die in ihr erhaltenen originalen Bauteile aus der Zeit der Organisten- und Komponistenfamilie Krebs in Gestalt des Pfeifenmaterials aus der Vorgängerorgel von 1704, die von Johann Conrad Weißhaupt (1657-1727) stammte. Dieser schuf 1707/08 vor Bachs Ankunft in Weimar durch Umbau und Erweiterung der Compenius-Orgel die berühmte Orgel in der Schlosskirche zu Weimar, für die J.S. Bach als Hoforganist zahlreiche Orgelwerke komponierte, und die er als besonders zuverlässig schätzte. Mit Wilhelm Christoph Trebs' Arbeiten an der Buttelstedter Orgel besteht später eine weitere handwerklichkünstlerische Parallele zur Schloss-Orgel in Weimar.
Standort: 3. Westempore/ Orgelempore - historischer Abriss:
1569 erste Orgel auf 1. Nordempore/ Balghaus außerhalb der Kirche „Der Rat hat auch einen Organisten." (Kirchenvisitationsprotokoll)
1652/53 David Fran(c)ke, Kantor und Organist, Instandsetzung
1704 Johann Conrad Weißhaupt (Seebergen), Neubau
1774 Wilhelm Christoph Trebs (Weimar), Restaurierung/ Umbau (Jahr des zweiten Schlossbrandes in Weimar)
1822 Johann Christian Adam Gerhard (Dorndorf) Begutachtung der Orgel
1857/ 58 Carl Friedrich Peternell (Seligenthal) grundlegender Umbau/ versetzt auf 3. Empore/ Bälge/ Manuale/ Windladen/ Pfeifenstöcke/ 5 vollständige Stimmen beibehalten
1858 Revision durch den berühmten Weimarer Stadtorganisten und Orgelsachverständigen Johann Gottlob Töpfer „... daß war endlich einmal wieder eine Orgel, in der man gar Nichts auszusetzen hatte!"(Joh. Gottl. Töpfer)
1935 Emil Heerwagen (Weimar), Gesamtstimmung um 3x ½ Ton herabgesetzt
1992 erste Aktion „Rettet St. Nicolai und die Peternell-Orgel in Buttelstedt", Gründung des Förderkreises Krebs-Fasch und Kirche Buttelstedt e.V.
Der Förderkreis Krebs-Fasch und Kirche Buttelstedt e.V. hat in jahrelanger Arbeit die bauliche Sicherheit für die Orgelsanierung geschaffen (Dach-, Turm und Mauerwerkssanierung der Kirche), die Kirchengemeinde und die Stadt Buttelstedt, sowie der Kulturkreis Liechtenstein-Weimar, der 1992 die erste Rettungsaktion maßgeblich unterstützte, sind aktive Partner aller gegenwärtigen Bemühungen. Die genannten Institutionen und Vereine gründeten 2013 gemeinsam die Initiative „Helft der Peternell-Orgel in Buttelstedt", die - federführend durch den Förderkreis Krebs-Fasch und Kirche Buttelstedt e.V. - 2014 den Beschluss zur grundhaften Sanierung und Rekonstruktion der Peternell-Orgel fasste. Historisch begründet ist dieser Beschluss in den schon eingangs ausführlich beschriebenen Persönlichkeiten aus Musik, Kunst und Wissenschaften und deren Tätigkeiten:
Wirkungsstätte der Familie Krebs und Geburtsort des Sohnes Johann Ludwig, Geburts- und Taufort von Johann Friedrich Fasch, Geburtsort des mit Bach befreundeten Ronneburger Kantors Johann Wilhelm Koch, Ort vielfacher Musiker-Begegnungen, z.B. Orgel-Aktivitäten der Musiker-"Troika" Liszt - Gottschalg - Steinacker, Wirkungs- und Sterbeort von Gustav Steinacker, und - wichtig - Ort der gemeindlichen Glaubens- und Musikausübung, als solcher Identifikationsort für Stadt und Kirchengemeinde.
Der Beschluss ergibt sich weiterhin aus der - wie angedeutet - heute vermehrten Rolle Buttelstedts als Pflege- und Spielstätte für Alte Musik, aus der Nähe zur Weimarer Franz-Liszt-Hochschule und der damit verbundenen Ausbildung, was schon heute anerkannt wird, beides unter der Bedingung einer umgehend sanierten und restaurierten Peternell-Orgel, einem auf höchstem Niveau spielbaren Instrument. Schirmherrin Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin a.D., und namhafte Unterstützer, von Anfang an vor allen Dr. Felix Friedrich, Krebs-Musikexperte und Schlossorganist von Altenburg, helfen dabei. 2014 haben sich mit ihm in einer Petition neununddreißig Künstler und Persönlichkeiten des kulturellen und öffentlichen Lebens deutschland- und liechtensteinweit hinter den Beschluss der Initiative gestellt.
Mit einer alljährlichen Benefiz-Konzertreihe unterstützen namhafte Musiker die Bemühungen um die Peternell-Orgel. In den neun ersten Konzerten 2014 hat sich eine Nähe von Künstlern zu Buttelstedt, seiner Geschichte und Orgel herausgebildet, gleichzeitig eine Öffnung nach Thüringen vollzogen, ein Interesse am Musik- und Spielort Buttelstedt entwickelt, das das Aufstellen künftiger Jahresprogramme sehr erleichtert. Die Konzerte 2014, vorwiegend in der Stadtkirche fanden mit Weimarer, Sömmerdaer, Jenaer und Erfurter Beteiligung eine gute bis sehr gute Resonanz.
Fazit:
Die grundhafte Erneuerung der Orgel in der Stadtpfarrkirche Sankt Nikolai von Buttelstedt mit dem berühmten Peternellschen Klang von 1858 als Ziel und vor dem Hintergrund der hervorragenden Akustik des Kirchenraumes ist Voraussetzung dafür, 1. dass die Orgel die ihr an diesem Ort zukommende Rolle als Gemeinde- und Konzertinstrument, Wettbewerbs- und Ausbildungsinstrument angesichts der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar und namhafter Thüringer Konzertreihen für Alte Musik, Kirchen- und Orgelmusik wahrnehmen kann, 2. dass die Werke der hier geborenen und wirkenden bedeutenden Musiker und Komponisten, der hier und in der Nachbarstadt Buttstädt tätigen Organistenfamilien gepflegt werden können, und dass deren Geburts- und Taufstätte in Buttelstedt ihre wertvolle klingende Krone zurückerhält.
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Bildnachweis - Orgel und Kircheninneres: Candy Welz
andere: Eberhard Neumeyer