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Florian Russi
Der Drachenprinz

Geschichten aus der Mitte Deutschlands, 52 Erzählungen und neue Sagen aus Thüringen, mit Zeichnungen von Dieter Stockmann, Bertuch Verlag Weimar 2004.

 

Der Wagen der Frau Holle

Der Wagen der Frau Holle

Dr. August Witzschel

Nach den bekannten thüringischen Sagensammlungen von Ludwig Bechstein aus den Jahren 1835 und 1858 war es das Bestreben von Dr. August Witzschel, eine weitere Sammlung zusammenzutragen, da seiner Meinung nach den thüringischen Sagen, Sitten und Bräuchen immer noch nicht genug Beachtung geschenkt wurde. Um das Volkstum möglichst getreu wiederzugeben, bediente er sich möglichst ursprünglicher schriftlicher Quellen wie Chroniken und Archiven, aber auch anderer Sammlungen.

„Meine Absicht war und ist darauf gerichtet, alles was von alten Sagen, Gebräuchen und Glauben, geschichtlichen, lokalen und volksthümlichen Inhalts, in Thüringen unter dem Volke einst heimisch war oder in seiner Erinnerung noch lebt und in Uebung ist, möglichst vollständig und treu der Ueberlieferung in dieser Sammlung nieder zu legen." (Vorwort VIII)

Anna Hein

 

Der Wagen der Frau Holle

Der Frau Holle begegnete bei ihrem Umzug zur Weihnachtszeit ein Bauer mit einer Axt. Diesen hat sie angeredet, daß er ihr den Wagen verkeilen oder verschlagen sollte. Der Bauer that, wie ihm geheißen war, und als er die Arbeit gethan und den Wagen wieder in Stand gesetzt hatte, befahl ihm Frau Holle die Späne aufzuraffen und als Trinkgeld mitzunehmen. Da ihm das aber vergeblich und unnütz vorkam, ließ er sie meistentheils liegen und nahm nur ein Stück oder drei für die Langeweile mit. Als er nach Hause kam, waren dieselben in seiner Tasche zu Ducaten geworden. Nun bedauerte er den Verlust oder die Verscherzung der übrigen Späne, aber zu spät. Denn als er umkehrte, die übrigen zu suchen und zu holen, war nichts mehr zu sehen und alles verschwunden.
Diese Geschichte hat sich in Thüringen an vielen Orten zugetragen und die Leute wißen überall davon zu erzählen. So auch in der Umgegend von Tiefenort und dem Krainberge. Dort stand auf dem sogenannten Riechen bei den sieben Linden in alter Zeit ein Wald. Durch diesen fuhr noch spät in der Nacht ein Wagen, in welchem eine fremde, unbekannte Dame saß. Der Weg durch diesen Wald war aber sehr sumpfig und morastig, namentlich zur bösen Winterzeit, und so geschah es, daß der Wagen im tiefen Kothe stecken blieb und ein Rad davon zerbrach. Zum Glück kamen gerade einige Holzhauer des Weges daher, die von ihrer Arbeit in dem Walde eben nach Hause gingen. Die unbekannte Dame bittet die Leute ihr zu helfen und beizustehen und sogleich hauen diese einige Stangen ab und machen eine sogenannte Schleife an die Stelle des zerbrochenen Rades, so daß der Wagen aus dem Sumpfe herauskommen und weiter fahren konnte.
Die Dame bedankt sich bei den Leuten und heißt ihnen die umher liegenden Späne als Lohn für die gehabte Mühe und Arbeit einstecken. Lachend und unwillig kehren ihr die Arbeiter den Rücken und gehen ihres Weges. Nur einer von ihnen hat fast gedankenlos einige wenige Späne aufgerafft und in seine Tasche gesteckt. Als er dieselben zu Hause aus der Tasche hervorholen und unter den Ofen werfen will, findet er dieselben in pures Gold verwandelt.

 

 

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Textquelle: Kleine Beiträge zur deutschen Mythologie, Sitten- und Heimathskunde in Sagen und Gebräuchen aus Thüringen. Gesammelt und herausgegeben von Dr. August Witzschel. Erster Theil: Sagen aus Thüringen. Wien 1866, S.114-115.

Bildquelle: Otto Ubbelohde "Frau Holle", gemeinfrei, wikipedia

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